Intensive Hilfe für traumatisierte Kinder
31.08.2020
Seit Oktober 2024 werden acht emotional beeinträchtigte Kinder durch das kunsttherapeutische Angebot der Barbos-Stiftung „Arbeit am Tonfeld®“ in drei verschiedenen Einrichtungen gefördert, in einer Grundschule, in einer Kita und in einem Waisenhaus. Die Kinder wurden von der jeweiligen Einrichtung aufgrund ihrer Verhaltensauffälligkeiten zur Förderung vorgeschlagen. Die Erziehungsberechtigten haben zugestimmt. Die gemeinnützige Weihnachtsaktion der SZ – Gute Werke hat die Kosten übernommen, wofür wir auch im Namen der Kinder sehr dankbar sind.
Wir wollen einen kurzen Einblick in den aktuellen Stand der Entwicklung der Kinder geben, die alle bisher 9 oder 10 Einzelstunden am Tonfeld bereits absolviert haben. Das Tonfeld ist ein rechteckiger Kasten, flach eingefüllt mir Tonerde. Es gibt keine Vorgaben, die Kinder lassen spontan ihre Hände tun, was die wollen und wozu sie das sensorische Material der Tonerde und das konkrete Gegenüber des Tonfeldes anregt. Es geht dabei sowohl um die Sättigung früher sinnlicher Bedürfnisse wie auch um Beziehungsgestaltung, dem Umgang mit einem Anderen. Da die Hände durch die Haptik mit den tiefen kreativen und sinnlichen Ressourcen des Körpers verbunden sind, führt diese Art von Gestalten in der Tonerde zur Behebung von psychischen Fehlentwicklungen und zur emotionalen und sozialen Entfaltung des Einzelnen.
Alle Kinder in diesem Projekt werden, wenn nötig, bis zu 30 Einzelstunden gefördert. Sie sind daher noch am Anfang ihrer Entwicklung. Dennoch zeigen sich bei fast allen, erste positive Tendenzen, die sowohl von den Tonfeldbegleiter*innen als auch von den Betreuer*innen in den Einrichtungen wahrgenommen werden. Alle Namen der Kinder sind geändert.
3 Kinder im Waisenhaus
Louis, 10 Jahre, hat die Diagnose frühkindlicher Autismus, der sich nun in Granteln und Zurückweisung von Beziehung äußert. Er findet zunächst Halt am Tonfeld und dann in der Beziehung zur Begleiterin. Durch Verwendung von Wasser kommt er selber in fließendere Bewegungen und danach erarbeitet er sich ein stabileres Gleichgewicht, indem er Druck auf das Feld ausübt. Durch seine körperlichen Erfahrungen ist er so gestärkt, dass er sich seinem eigentlichen Thema, dem Aufbau von Beziehung zuwendet. Noch außerhalb des Feldes gestaltet er die Beziehung eines Schneckenkindes, eines Igelkindes und eines Igelpapas. Er zeigt im Bild des Schneckenkindes seine Empfindlichkeit und Rückzugstendenz (siehe ‚Autismus‘) und im Bild des Igelkindes seinen Wunsch nach Nähe zum Papa. Nach 9 Stunden am Tonfeld wirkt er vitaler, kompetenter und grantelt weniger.
Eleonora, 10 Jahre, aus einer migrantischen Familie, wobei die Eltern getrennt sind und Eleonora bei der Mutter lebt. Der Vater kümmert sich nicht verlässlich um sie. Diagnose ADHS. Sie ist vital und adipös. In der Schule ist sie impulsiv und aggressiv und nimmt sich als Außenseiterin wahr. Ihre Bewegungen sind viel zu schnell (ADHS), so dass sie sich darin selber noch nicht spüren kann. Aber die Berührungen mit Wasser helfen ihr, ihr existentielles Problem auszudrücken. Sie schmiert sich das Gesicht mit Tonerde ein und macht sich damit dicke Backen und einen bösen Blick. Sich als „böse“ zu zeigen ist ein mutiger Schritt, der vielleicht zur Bearbeitung ihres Wunsches nach eigener Wahrnehmung führen wird, denn noch ist sie nicht nur in der Beziehung zu den Anderen die Außenseiterin, sondern auch in der Beziehung zu sich selbst. Ihre kraftvolle Suche nach sich selber: „wer bin ich eigentlich?“ wird hier spürbar.
Otto, 5 Jahre, impulsives Verhalten, verzögerte Sprachentwicklung, kurze Konzentrationsspanne Er ist distanzlos und übergriffig, weil er in hohem Maße bedürftig nach Beziehung ist. Ihm fehlt der innere Kompass, der sich durch Nähe und Zuwendung bilden kann. Deshalb kommen auch die vielen Impulse, die er hat, in seiner Wahrnehmung nicht an. Bevor er am Tonfeld arbeiten kann, muss er sich der Beziehung zur Tonfeldbegleiterin vergewissern. In den ersten 5 Stunden versteckt er sich daher zu Beginn im Raum und will gefunden werden. So sichert er sich in der Beziehung, um sich danach der spontanen Berührung der Tonerde ‚überlassen‘ zu können. Dabei zeigt er einen regelrechten Durst nach Entwicklung und bemüht sich intensiv, am Feld und bei sich anzukommen. Wasser hat dabei eine vermittelnde Funktion. Den Umzug in eine neue Wohngruppe meistert er mit erstaunlicher Stabilität.
3 Kinder in der Grundschule
Thomas, 7 Jahre, hat eine belastende familiäre Situation. Die Mutter hat einen Hirntumor, der Vater hat sich getrennt, der Bruder ist sein Rivale. Thomas verweigert, am Tonfeld zu arbeiten, dreht sich mit dem Stuhl weg und zeigt eindeutig, dass er sich nicht einlassen will. Jedoch wenn er etwas in der Tonerde gestaltet, dann ist er zufrieden. Er hat gesundheitliche und soziale Probleme und die bedrohliche familiäre Situation. Deshalb bemüht sich die Tonfeldbegleiterin sehr, ihn zu motivieren. Aber es hängt nicht von ihr ab, ob er dabeibleibt oder nicht. Der Ausgang ist offen.
Emily, 7 Jahre, hat Lernprobleme. Lesen und schreiben sind schwierig für sie, ebenso die Konzentration auf eine Tätigkeit. Sie ist intellektuell überfordert. Am Tonfeld arbeitet sie sehr vital mit dem gesamten Material. Es wird aus dem Kasten genommen, der wird mit Wasser gesäubert und in der Mitte entsteht ein großer Berg, der aufgebrochen wird. Oder sie erweitert ihren Aktionsraum, indem sie die ganze Tischplatte mit Wasser einstreicht. Dabei geht es um ein primäres „Haben“ – „alles meins!“ Sich diese „Gier“ zu gestatten, ist der Anfang der Ich – Entwicklung. Danach wird prosoziales Handeln möglich. Sie baut eine Wasserdusche für die Katze. Sie kommt gern zur Tonfeldstunde und im Unterricht ist sie nicht mehr so unter Leistungsdruck.
Lagos, 7 Jahre, aus einer Migrantenfamilie. Er ist klein, sehr dünn und hat keinen Halt im Körper. Entsprechend haben auch seine Gestaltungen keinerlei Halt. In seinen Handlungen ist er sprunghaft und steht ständig unter Stress. Aufgrund seiner Orientierungslosigkeit und inneren Zerrissenheit ist er seinen Mitschülern gegenüber sehr aggressiv. In der fünften Tonfeldstunde macht er einen ersten konstruktiven Schritt, indem er ein Fußballfeld und einen Schiedsrichter baut. Jetzt gibt es einen klar begrenzten Raum, Spielregeln, die eine Ordnung garantieren und eine Instanz, die für die Einhaltung der Regeln sorgt. Und im nächsten Schritt baut er in der neunten Stunde in der Mitte des Feldes einen Turm aus dem gesamten Material. Endlich erfüllt er aus eigenem Impuls sein existentielles Bedürfnis nach einem Gegenüber, der Präsenz eines Menschen. Denn „ohne DU kann ICH nicht werden“ (Martin Buber). Jetzt kann er sich beruhigen.
2 Kinder in der KiTa
Efren, 6 Jahre, hat schwierige familiäre Verhältnisse insbesondere durch die schwere Krankheit seiner Mutter. Sein Körper ist kraftlos. Deshalb fällt es seinen Fingern auch schwer, in die Tonerde einzudringen. Er ritzt und bezeichnet anfänglich die Oberfläche des Tonfeldes, bevor er mit Hilfe des Wassers mehr sensomotorisch arbeiten kann. Dann gräbt er einen Becher ein und wiederholt viele Male, den Schwamm einzugraben. In diesem Tun kann er sich als selbstbestimmt und stimmig erleben, was dazu führt, dass er beginnt Druck auf das Feld auszuüben, der ihn körperlich aufrichtet. Durch die körperliche Erfahrung der Vertikalen gewinnt er an Selbstvertrauen. So baut er sich in konsequenten, kleinen Entwicklungsschritten langsam selber auf.
Fillip, 5 Jahre, in seiner KiTa Gruppe zeigt er ein ambivalentes Verhalten, das viele Konflikte provoziert. Er ist klein, schnell abgelenkt, neugierig und pfiffig. ein Bürschchen, das ein großes Potential hat. Er kann sich schnell auf das Tonfeld einlassen und probiert darin vieles aus. Dabei wirkt er in seinem tiefen Bedürfnis noch nicht erfüllt. Das ändert sich, nachdem er in der vierten Stunde das Wasser entdeckt hat. Seither arbeitet er sensomotorisch, baut Flüsse, Kanäle, füllt Wasser ein, nimmt Wasser mit dem Schwamm heraus, lässt Wasser fließen oder staut es. Durch seine sensomotorischen Erfahrungen gestärkt und in besserem Kontakt zu seinen eigenen Bedürfnissen, beginnt er in der neunten Stunde einen großen Berg zu gestalten, in den er ein Loch gräbt. Nun fängt er an, sich mit der Materie, der Tonerde haptisch auseinanderzusetzen, die ihm Widerstand, Gewicht, Konsistenz und Formbarkeit anbietet. Im Umgang mit diesen Qualitäten kann er seine Vitalität, seinen Behauptungswillen, seine Kompetenz und Kreativität erfahren. Eine individuelle und prosoziale Entwicklung kann beginnen.